Dr. Mario Herger, Gründer des Beratungsunternehmens Enterprise Garage, stand als Experte rund um das Thema autonomes Fahren, in dieser Folge des Drive.AI-Podcast zur Verfügung. Dabei bietet er tiefe Einblicke in die Welt des autonomen Fahrens und offenbart seine eigenen Erfahrungen mit der Technologie.
Lange Jahre war er bei SAP unter anderem als Entwicklungsleiter und Innovationsstratege beschäftigt. Im Jahr 2013 hat er sich dann zum Schritt in die Selbständigkeit entschieden und berät seitdem seine Kunden unter anderem in den Bereichen: Exponential Thinking, Innovation, Intrapreneurship, Kreativität, und Design Thinking, mit Schwerpunkt auf neue Technologien.
Mario schreibt darüber hinaus auch Bücher. Wobei er vor allem für sein Werk und gleichnamigen Blog „Der letzte Führerscheinneuling ist bereits geboren“ bekannt ist. Der Titel des Buches spielt darauf an, dass in Zukunft die Autos/ Fahrzeuge selbstständig autonom unterwegs sein werden. Fahrer:in wird nicht mehr benötigt. Man wird zum Fahrgast. Und kann seine Zeit anderweitig nutzen.
Autonomes Fahren seit 2010 ein Thema für Dr. Mario Herger
2010 ist Mario erstmals auf das Thema autonomes Fahren und autonome Autos aufmerksam geworden. Gelesen hat er damals in der New York Times davon, dass Google entsprechende Entwicklungen vorantreibt und schon weit über 100.000 Meilen (ca. 160.934 km) mit autonom fahrenden Fahrzeugen zurückgelegt hat. Jahre später hat er dann auch ein erstes autonomes Auto auf dem Highway gesehen. Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen.
Was dazu geführt hat, dass Mario eine entsprechende Expertise in diesem Gebiet aufgebaut hat. Expertise, welche er mit Automobilhersteller, der Industrie aber auch Instituten teilt. Dabei zeigt sich aus seiner Sicht aber ein immenser Wissensunterschied beziehungsweise Fehleinschätzung europäischer Experten zu denen im amerikanischen Raum. Gerade in Europa, speziell in Deutschland, seien noch viele Wissenslücken und falsche Meinungen zum Thema vorhanden.
So gibt Mario unter anderem zu verstehen, dass man sich von dem Gedanken verabschieden müsse, dass der Absatz beim autonomen Fahren linear wächst. Dies sei nicht der Fall, es wird starke Entwicklungssprünge geben, welche auch das Auto an sich vollkommen neu erscheinen lassen. Statt ein eigenes Fahrzeug zu besitzen, ruft man sich dann nach Bedarf das Auto, welches man gerade benötigt. Ist man mit der Familie unterwegs wird es der Van, will man alleine von A nach B reisen wird es eben ein Ein- oder Zweisitzer.
Dabei ist es vor allem der Kostenvorteil, der die Nachfrage nach autonomen Fahrzeugen immens schnell und nicht linear wachsen lässt. Durch die neue Technologie werden die Fahrzeuge energieeffizienter, vermeiden Unfälle im Alltag – dadurch auch Kosten. Sowie in Ausbaustufen die Kosten für notwendige Sicherheitssysteme, da sich deren Notwendigkeit im Fahrzeug reduziert. Auch seien autonom fahrende Fahrzeuge leichter zu rufen, als beispielsweise Bus- und Bahn-Haltestellen aufzusuchen.
Befreiung für Innenstädte vom Verkehrschaos
Innenstädte können vom Verkehrschaos befreit werden, da die Robotaxi-Flotten außerhalb geparkt und geladen werden können. Bei Bedarf dann erst beim Fahrgast vorfahren. In Summe soll all dies dazu führen, dass das Nutzen solcher Robotaxi-Service um Faktor zehn günstiger sein werden, als der Unterhalt eines eigenen Fahrzeugs. Dann stellt sich noch die Frage, ob nicht gar die autonomen Autos direkt in das Angebot des ÖPNV eingebunden werden, was die Akzeptanz zusätzlich zu den Kostenvorteilen nochmals deutlich erhöhen dürfte. Ebenso würde es im täglichen Handling Vorteile mit sich bringen.
Derzeit arbeite man auf die Massenmarkteinführung hin. Bis es so weit ist, wird es noch dauern. Da entsprechende Sensoren und Technik noch sehr hochpreisig ist – man rechnet hier aktuell mit 300.000 – 400.000 US-Dollar pro Fahrzeug. Dies wird sich aber mit entsprechenden Skalierungseffekten aber deutlich nach unten bewegen. Trotz entsprechender Kosten sind in den Vereinigten Staaten von Amerika dennoch schon um die 1.200 autonom fahrenden Fahrzeuge auf der Straße unterwegs – hauptsächlich von Waymo und Cruise.
Weitere spannende Einblicke gibt’s in der aktuellen Folge. Also gerne reinhören. Es lohnt sich!
Gerne kannst du uns auch Fragen zum autonomen Fahren per Mail zukommen lassen, welche dich im Alltag beschäftigen. Die Antwort darauf könnte auch für andere Hörer des Podcasts von Interesse sein. Wie immer gilt: Über Kritik, Kommentare und Co. freuen wir uns. Also gerne melden, auch für die bereits erwähnten Themenvorschläge. Und über eine positive Bewertung beim Podcast-Anbieter deiner Wahl freuen wir uns natürlich auch sehr! Vielen Dank.
Transkript zu Mario Herger: Lineares Wachstum bei autonomen Fahren ist ein Irrglaube
Sebastian
Hi Mario! Vielen Dank, dass du dir heute die Zeit nimmst, dass wir uns ein wenig über das Thema autonomes Fahren unterhalten. Du bist da ja sozusagen Vollblutprofi drin – wir erfahren auch gleich, warum. Aber bevor wir da eintauchen und du uns ein wenig mehr aus deiner Welt erzählst, stell dich doch gerne mal unseren Hörern und Hörerinnen vor.
Dr. Mario Herger
Danke, Sebastian, für die Einladung. Ich wohne hier im Silicon Valley, der San Francisco Bay Area, also ich bin 10.000 Kilometer von dir entfernt momentan. Ich komme ursprünglich aus Wien, habe in Wien studiert, habe dann bei SAP gearbeitet, zuerst in Walldorf bei Heidelberg, und bin dann 2001 in die USA gezogen; bin seit 2013 selbstständig, war bei SAP unter anderem Software-Entwickler, Entwicklungsleiter und dann die letzten Jahre habe ich auf Innovationen geschaut, also was sind so Technologien, die SAPs eigene Technologiestrategie beeinflussen.
Man muss dazu wissen, dass SAP ja nicht nur Geschäftsanwendungen baut, sondern auch die darunterliegende Technologie, und da sind so Sachen wie zum Beispiel mobile Geräte wie das iPad plötzlich etwas gewesen, das das Unternehmen beeinflusst hat, weil die Leute wollten plötzlich Daten in ein SAP-System über iPads eingeben, und dazu braucht man technische Rahmen für die Benutzeroberfläche, wie die Daten gehalten werden, wenn man keine Internetverbindung hat.
Und seit 2013 bin ich selbstständig und schreibe Bücher über Technologien, die mich interessieren, und halte Vorträge dazu und blogge auch fleißig zu verschiedensten Themen, unter anderem das Thema, das wir heute besprechen werden, nämlich autonomes Fahren.
Sebastian
Und da hattest du ja auch schon ein Buch zu dem Thema rausgebracht, das das auf jeden Fall ankratzt oder – was heißt „ankratzt“? – sehr stark berührt eigentlich, Der letzte Führerscheinneuling … ist bereits geboren., wo du genau dieses Thema auch thematisierst und darauf eingehst. Und ich sage mal, bei uns in Deutschland, wir haben jetzt gerade hier so Mitte Februar 2023, hat man wahrscheinlich von autonomem Fahren schon mal gehört, erlebt wird man es in 95 Prozent der Fälle noch nicht haben. Deswegen kommen ja die ganzen deutschen Mitarbeiter auch zu dir rüber, um das zu sehen vor Ort in den USA. Vielleicht magst du uns da mal einen kurzen Abriss über dein Buch geben, was dich dazu bewogen hat und was denn da auch der Inhalt war.
Dr. Mario Herger
Ja, du hast recht – 2017 kam ein Buch von mir heraus, das hieß Der letzte Führerscheinneuling … ist bereits geboren. Und das entstand mehr oder weniger aus meinen Begegnungen mit deutschsprachigen Personen, vielen davon auch aus der Automobilindustrie, die so ins Silicon Valley kommen. Du musst dazu wissen, das Silicon Valley, wo sich halt so Firmen wie Google und Apple und Tesla herumtreiben, ist ein sehr interessanter Platz für viele Unternehmensführer, Innovation Manager, Leute aus verschiedensten Industrien, weil doch die Technologien, die aus dieser Gegend kommen, uns alle irgendwie beeinflussen – also vom iPhone, Elektroautos natürlich, Teslas, zu Facebook und sozialen Medien und Uber. Und die haben eine große Auswirkung auf unser eigenes Geschäft und Business und auf unsere eigenen Technologien. Deshalb kommen die Leute, um sich inspirieren zu lassen, neue Sachen zu sehen und was nach Hause mitzunehmen, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln müssen.
Dabei habe ich gemerkt, dass ich Leute auch aus der Automobilindustrie hatte, und wenn man dann so spricht über autonomes Fahren und Elektroautos, dann muss man sich natürlich in die Zeit von 2015/2016 zurückversetzen: Da war es noch nicht klar, dass Tesla so groß wird und so wichtig und dass jeder Elektroautos bauen wird müssen – und genauso natürlich mit autonomen Autos. Und ich habe gemerkt, dass da hier Wissen fehlt beziehungsweise auch Meinungen vorherrschen, die nicht richtig sind.
Bei uns war es so, dass ich zum ersten Mal auf autonome Autos gestoßen bin, als ich im Jahr 2010 – so früh war das schon – im Garten gesessen bin am Sonntag und die New York Times gelesen habe. Ich hatte damals die New York Times noch als Papierversion abonniert und da haben sie einen zwei- oder dreiseitigen großen Artikel gehabt über Googles Anstrengungen, ein autonomes Auto zu bauen. Da sind sie damals schon 100.000 Meilen (160.934,4 km) gefahren, also auf öffentlichen Straßen, das waren 160.000 Kilometer, und ich saß, ich kann mich erinnern, und habe mir gedacht: „Bumm, Wahnsinn, was die da machen und das merkt keiner und sieht keiner.“ Und dann habe ich ein paar Jahre später das erste Google-Auto selber auf den Straßen fahren gesehen. Das war noch so ein Lexus mit so einem 70.000 Dollar teuren LIDAR oben aufgebaut, das auf der Autobahn vor mir gefahren ist. Das war meine erste Aufnahme.
Und durch diese Videos, die ich dann auf Facebook gestellt und meine Freunde belästigt habe, und durch diese Begegnungen mit Spezialisten, mit angeblichen Spezialisten aus Deutschland zu diesen Themen bin ich draufgekommen, dass es hier eine massive Wissenslücke gibt und vor allem auch eine Meinungslücke. Das heißt, man hat Meinungen dazu vertreten, die eigentlich falsch waren und nach wie vor falsch sind; und da habe ich gedacht: „Okay, ich muss, glaube ich, etwas dazu schreiben.“
Das hat mich dann noch einmal bestärkt durch einen Blog, den ich geschrieben habe zum Thema Innovationsprobleme am Beispiel Porsche versus Tesla. Das war zu einem vorhergehenden Buch ein Blog, den ich gerade gebaut habe. Das Buch kam ein paar Monate später raus, aber den Blog wollte ich schon fertig machen. Und dann waren dort innerhalb von drei Tagen 20.000 Leute, die sich das angeschaut haben, 70 Kommentare. Da habe ich gedacht: „Okay, ich glaube, das ist ein Thema, das im deutschsprachigen Raum ein sehr großes Interesse hervorruft, Kontroverse hervorruft, einfach Interesse hervorruft – vielleicht muss man ein Buch schreiben.“ Und so bin ich dann dazu gekommen, habe dann mich sehr stark vertieft in dieses Thema. Natürlich, weil ich vor Ort bin, sehe ich diese Fahrzeuge, sind die Leute hier, ich spreche mit den Leuten in diesen Firmen. Ja, das ist die Geschichte.
Sebastian
Ein schöner Einstieg, dass du so hineingekommen bist, quasi durch das Unwissen oder falsche Wissen vermeintlicher Experten getrieben, da Aufklärung zu betreiben. Und in deinem Buch hast du dann genau über diese Themen aufgeklärt, hast dann eben schon gesagt: „Hört mal zu, schaut mal über den großen Teich rüber von Deutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika und betrachtet mal, was es tatsächlich gibt“, um da eben auch ein gewisses Empfinden dafür zu schaffen. Das war, glaube ich, der Anlass, den du jetzt auch gesagt hattest. Und wie wurde das Buch dann angenommen von diesen vermeintlichen Experten? War man da offen dafür oder war das dann eher so ein Schlag ins Gesicht für die irgendwo?
Dr. Mario Herger
Nun ja, also im Buch, habe ich ja versucht, so eine Bestandserhebung zu machen, nämlich: Wie weit ist man denn heute bereits, 2017? Wer sind die Spieler? Wer sind die Leute? Wer sind die Firmen? Wer macht welche Anstrengungen auch von den großen Unternehmen? Und in welche Richtung entwickelt sich das oder könnte sich das entwickeln? Dazu muss man wissen, dass wir, glaube ich, immer eine Betrachtung haben zu Hause, die etwas linear ist. Das heißt, ich habe ein Auto heute und in Zukunft werde ich auch ein Auto besitzen, nur das wird dann autonom fahren. So wird es betrachtet. Und ich zeige dann halt auf oder versuche dann, Konzepte, Modelle, Szenarien für die Zukunft zu entwickeln, wie sich solche Zukünfte entwickeln können.
Das Buch selber hat sich verhältnismäßig gut verkauft für so ein relativ trockenes Thema und industriespezifisches Thema. Dazu muss man wissen, dass Buchverlage nicht immer begeistert sind von Sachbüchern wie diesen, also das nicht ein spezifisches Fachbuch ist, das in einer Industrie verwendet wird, und dort verkauft man das halt dann über Jahre hinweg, sondern dass das ein Sachbuch ist, wo halt zu einer Industrie gesprochen wird. Beispielsweise wenn ich über die Baubranche, über verschiedenste Baumaterialien und so weiter schreibe, dann wird das nur die Leute in der Industrie interessieren, zumeist.
Wenn ich also etwas in der Automobilindustrie mache, dann verkauft sich dort gut, wenn ich zum Beispiel über die Familie Porsche oder Piëch etwas schreibe, also Familiengeschichte mit Sex, Drugs, and Rock ’n’ Roll und Skandalen und was weiß ich was. Das verkauft sich gut, weil da kommt dieser menschliche Faktor rein, aber so ein Buch wie „Ich rede über autonome Technologie und Elektroautos und Batterien“, das ist ein trockenes Thema, auch wenn ich natürlich G’schichtln erzähle. Und jetzt gab es aber, überraschend für mich, eine ganze Reihe von Leuten, die ich bislang nicht getroffen hatte, die auch schon Ähnliches gedacht und versucht haben, ihrem Bekanntenkreis ähnliche Entwicklungsrichtungen aufzuzeigen, in welche Richtung sich das entwickeln könnte, dass Elektroautos absolut Sinn machen.
Ich meine, du hast ja einen eigenen Podcast, da hast du ja sehr viel darüber gesprochen und diese ganzen Vorurteile auch versucht zu beseitigen oder besänftigen – und mit autonomem Fahren ähnlich. Da gab es dann einige, die haben teilweise 70, 80 Bücher gekauft, um das an ihre Bekannten und Kollegen und Kolleginnen in den Unternehmen oder Partnerunternehmen zu vergeben. Weil sie gesagt haben: „Schau, ich rede die ganze Zeit mir den Mund fusselig darüber und die glauben mir das nicht; und da habe ich jetzt etwas, was meine eigene Argumentation unterstützt, weil du hast dir die Arbeit gemacht, dass du den Stand damals erhoben hast und auch aufzeigst, in welche Richtung das gehen kann.“
Ich muss dazusagen: In dem Buch bin ich vielleicht für manche zu kritisch mit unserer eigenen Industrie, also mit der deutschen Automobilindustrie, umgegangen, weil ich hatte ja auch beobachtet, dass man sehr stolz auf die eigene Industrie ist. Das ist ganz klar. Wir haben die besten Autos der Welt. Wir haben das Auto erfunden. Ich als Österreicher sage auch, Porsche-Piëch sind ja österreichische Familien – damit ist Volkswagen ein österreichisches Unternehmen. Das heißt, wenn ich da kritisch bin gegenüber diesen Unternehmen, dann bin ich natürlich genauso kritisch nicht nur gegen deutsche Unternehmen, wo ich gewohnt habe, sondern eben auch gegen österreichische – das heißt von dieser Seite her. Und ich habe halt bemerkt, dass man sich zu sehr auf die Brust klopft oder auf die Schulter klopft, wie super man ist, wie toll man ist, und man so immer dieses leichte arrogante Ding gegenüber den Amerikanern oder Chinesen hatte.
Natürlich, heute, sechs Jahre, nachdem das Buch herausgekommen ist, merkt man doch jetzt eine gewisse andere Attitüde. Man merkt, dass die plötzlich mehr Autos verkaufen in Europa als unsere eigenen Hersteller, dass die Chinesen solide Autos bauen, überraschend solide Autos bauen – also für die Leute in der Industrie überraschend solide – und dass sich die Ansprüche wandeln der Beteiligten. Insofern war das Buch damals, glaube ich, gar nicht so kontrovers. Aus heutiger Perspektive würden die Leute wahrscheinlich auch sagen, ja, da stimmt doch viel. Ich bin natürlich auch bei vielen Sachen falsch gelegen, keine Frage. Aber die Leute, die es gelesen haben, glaube ich, haben am Ende dann doch gesehen, dass sie doch anders denken müssen, dass die Sache doch schon anders ist, als sie gedacht haben.
Sebastian
Ich denke, das ist auch ein wichtiger Ansatz, dass du gar nicht dir auf die Fahne schreibst, dass du hier die eierlegende Wollmilchsau niedergeschrieben hast, die alle Probleme löst oder darauf hinweist, sondern einfach ebendiesen Denkanstoß geht. Wenn ich jetzt gerade diesen Vergleich, du hast gesagt, 70 bis 80 Bücher eigentlich durch deins dann ersetzt und gesagt, hier, Achtung, da verstehst du es ein Stück weit besser – das ist ja auch schon mal viel gewonnen sozusagen.
Ich würde auf einen Punkt gerne zurückgehen. Und zwar ist es, glaube ich, genau diese lineare Betrachtung, die du ja auch im Vorhinein im Vorgespräch genannt hattest. Ich glaube, wir Deutschen, es gibt ja diese fünf Level, nach denen autonomes Fahren sozusagen gedacht oder eingestuft ist, um das ein Stück weit einzuordnen. Das haben wir bei uns auch auf dem Portal ein Stück weit aufgearbeitet, dass man das eben sieht, werden das auch weiter ausbauen. Und da geht man ja von Stufe 1 bis 5 sozusagen durch – Stufe 0 mal ganz außen vor, wo noch überhaupt nichts drin war –, wo man eigentlich meinem Empfinden nach auch davon ausgeht: Okay, wir sind jetzt in Stufe 2, dann kommt 3, 4, 5 – aber das Auto gehört immer noch mir. Aber du siehst das ein Stück weit anders, soweit ich das jetzt einordnen konnte. Vielleicht magst du aber auch mal ein paar Worte dazu verlieren.
Dr. Mario Herger
Ja, es gibt einen ganz guten Grund, warum ich das sage, und zwar, das sind einfach die Kosten. Damals, 2017, als das Buch dann herausgekommen ist, waren die Zahlen, dass ein Fahrzeug im Privatbesitz im deutschen Sprachraum, dich um die 5.600 Euro pro Jahr kostet – also von Versicherung, über Benzin, über Wartung und alles, was du brauchst, und Abschreibung des Fahrzeugs. Das heißt, du gibst eine ganze Menge Geld aus pro Jahr für ein Fahrzeug. In den USA ist es ein bisschen teurer sogar, da kommt es fast auf das Doppelte. Das heißt, damit muss ich fix schon einmal rechnen. Das heißt, das sind doch dann 500, 600 Euro pro Monat, die ich aufwende nur für die heilige Kuh.
Wenn ich jetzt aber dann sehe, dass beispielsweise durch die Technologie das Fahrzeug ganz anders fahren kann, also viel energiesparender, damit in keine Unfälle oder kaum mehr in Kollisionen gelangt – das heißt, es vermeidet aktiv Unfälle, anstelle passiv Sicherheitseinrichtungen eingebaut zu haben, wie einen Airbag oder Sicherheitsgurt oder Stahlverstrebungen; also über 100 Kilo an Sicherheitsmaßnahmen für den Fall eines Unfalls, die ich jedes Mal mit mir herumschleppe –, selbst wenn ich andere Transportmittel verwende, wie beispielsweise ein Taxi, wo 50 Prozent des Fuhrlohns an den Fahrer geht, das Gehalt des Fahrers bezahlt, oder ich andere Verkehrsmittel verwende, wie beispielsweise eine U-Bahn, eine Straßenbahn, wo ich etwa erst einmal hingehen muss, die last mile zur Station gehen muss, wo dann je nach Tageszeit das Fahrzeug proppenvoll ist oder leer und damit auch eine Art Energieverschwendung zu gewissen Zeiten passiert, also es überhaupt nicht energieeffizient ist, wenn da ein Bus leer durch die Landschaft fährt, mit mir nur drinnen, dann könnte es einfacher werden oder billiger werden – und das sehen auch erste Kalkulationen –, wenn man ein autonomes Fahrzeug im Privatbesitz oder im gesharten Besitz hat.
Das heißt geshart, eine Robotaxi-Flotte, die man mit einer App bestellen kann, kann im gesharten Modell, also wo man noch zwei, drei Leute mitnimmt, billiger werden als heute der Kilometer in einem öffentlichen Verkehrsmittel kostet. Und das bedeutet, wenn ich davon ausgehe, dass ich, wenn ich heute 5.600 Euro zahle, pro Jahr fürs Auto und ich dann 80 bis 90 Prozent weniger zahle für den Kilometer im Vergleich zu heute, dann zahle ich nur mehr zwischen 600 und 1.000 Euro im Jahr für so ein Fahrzeug. Das heißt, das ist ein gewaltiger Unterschied, was ich mit den verbleibenden 4.000, 5.000 Euro jetzt machen kann im Jahr, für viele Leute.
Damit steht das Auto auch nicht jetzt 23 Stunden und 22 Minuten pro Tag herum, wie ein Auto in Deutschland es durchschnittlich pro Tag macht, also es fährt nur 38 Minuten herum, sondern fährt dann vielleicht 10 oder 12 Stunden. Das heißt, es wird viel besser eingesetzt, die Ressourcenverwendung ist viel besser von diesen Fahrzeugen. Und damit natürlich kann ich auch ein Fahrzeug haben, das solche Technologie drinnen hat, die vielleicht am Anfang oder jetzt noch teurer ist – natürlich, die Sensoren sind nach wie vor sehr teuer, die in so einem autonomen Fahrzeug eingebaut sind –, aber die natürlich bei einem Robotaxi ganz anders kalkuliert werden, weil ich das nicht selber habe, nicht selber 80.000 statt 40.000 zahle dafür, sondern 80.000 ist das Taxi, das sich dann alle Leute teilen, die damit fahren, und damit viel billiger wird.
Deshalb sehe ich diese Betrachtung, dass es zu einem anderen Besitzstand kommen wird, also nicht mehr ich selbst habe ein Auto, besitze ein Auto, sondern ich bestelle mir dann ein Auto, das ich eben entsprechend auch in der Größenordnung bestellen kann – einen Einsitzer, wenn ich einmal 10 Minuten drei Straßenzüge weiterfahren muss, oder ich bestelle mir einen Siebensitzer, weil ich ein Regal von einem Möbelgeschäft mir gerade liefern lassen möchte. Das heißt, ich habe viel mehr Flexibilität an der Stelle und ich muss mich nicht darum kümmern. Ich muss keinen Parkplatz bereitstellen, ich brauche keinen Parkplatz vor der Haustür, ich muss keinen Parkplatz suchen, wenn ich ins Restaurant fahre, damit oder ins Krankenhaus oder ins Kinocenter, sondern ich werde genau dort abgeliefert, wo ich aussteigen oder einsteigen will.
Das heißt, es wird plötzlich auch viel, viel bequemer, das Ganze. Und tatsächlich ist das jetzt nicht etwas Theoretisches, worüber ich hier rede, sondern das hat man bereits gesehen in Städten, wo heute schon Robotaxi-Flotten unterwegs sind. Leuten, die an diesen Programmen teilnehmen oder diese Sachen verwenden, passiert es, dass sie ihre eigenen Autos gar nicht mehr verwenden, dass sie die dann verkaufen oder wenn sie die in der Einfahrt oder in der Garage stehen, bis die Batterie leer ist, weil sie sie so lange nicht mehr verwendet haben.
Sebastian
Ich denke, das ist gerade der wichtige Punkt, wo du jetzt auch mit aufgebracht hast. Wir reden hier nicht von Zukunftsmusik, sondern dass wir tatsächlich bei euch drüben in den USA, gibt es diese Flotten schon aktiv in Betrieb?
Dr. Mario Herger
Sebastian und ich nehmen ja diesen Podcast gerade auf, einen Tag nach der Super Bowl. Der Super Bowl war in Phoenix und in Phoenix ist bereits seit 2018 eine Robotaxi Flotte von Waymo unterwegs. Und gestern eben war es auch so, dass zum ersten Mal wirklich ein großes Publikum, das typischerweise nicht in Phoenix wohnt oder in San Francisco, zum ersten Mal einer großen Robotaxi-Flotte exponiert worden ist. Die App, im App-Store, also auf Google und Apple, war sie Platz Nummer 80 oder so – so weit war ich noch nie vorn, weil eben auch teilweise Fahrten gratis angeboten worden sind. Wir haben seit 2018, das war die erste Robotaxi-Flotte, die zum ersten Mal auch geöffnet worden ist für die Öffentlichkeit, also wo zum ersten Mal sogenannte early riders, das heißt Leute, die nicht bei der Firma Waymo gearbeitet haben, mitfahren konnten.
Waymo ist eine Schwesterfirma von Google, das heißt, die entstand aus dem Google Projekt „Chauffeur“, das 2009 gestartet worden ist. Und die haben eben seit jetzt fast über vier Jahren eine Robotertaxi-Flotte in Phoenix unterwegs. Dazu muss man natürlich wissen: Das war zuerst ein kleiner Vorort, Chandler, und Phoenix selbst ist jetzt seit, glaube ich, einem Jahr offen. Es wird sogar der Flughafen angefahren, was noch einmal eine spezielle Sache ist in den USA, aufgrund der Verträge mit Taxifirmen und so. Aber man muss dazu auch wissen: Phoenix hat etwa eine Stadtfläche, die größer ist als die von Stuttgart. Natürlich ist das alles flach und so ein regelmäßiges Grid mit rechteckigen Straßenanordnungen und es ist in einer Wüstengegend, das heißt, es ist immer sonnig. Damit ist es natürlich auch sehr viel einfacher, dort zu „fahren“.
Aber es gibt auch Robotertaxi-Flotten in San Francisco, wo es etwas herausfordernder ist, weil da geht es auf und ab, man kann nicht überall links abbiegen, man muss oft um einen Block herumfahren, mit nach rechts abbiegen, um wohin zu kommen – wesentlich komplexer die Stadt und auch von den Wetterbedingungen her anders, weil dort aufgrund der Nähe zum Pazifik, es liegt am Pazifik, und der Bay Area eine kalte Wassermasse auf eine warme Wassermasse stößt und damit sehr, sehr viel Nebel und Regen dort auch immer ist. Das heißt, das ist schon einmal eine Steigerung des Ganzen. Da haben wir heute zwei Taxiflotten. Waymo ist eine und die andere ist Cruise. Cruise war ein Start-up, das gekauft worden ist von General Motors und es ist eine Einheit von General Motors und die fahren sehr fleißig.
Die beiden sind die, die am aktivsten sind. Die haben in San Francisco eine Flotte jeweils, die haben in Phoenix eine Flotte jeweils und Cruise hat aktuell eine in Austin und Waymo hat eine in Los Angeles eröffnet. Dann gibt es noch kleinere Start-ups, die auch teilweise testen, aber das dann auf viel, viel geringerem Maße. Wenn wir uns unter anderem die Flotte anschauen von Waymo, da gibt es ein Depot, also die haben mehrere Depots, also Standplätze, wo diese Fahrzeuge losgeschickt werden, und eines der Depots hat 120 Autos.
Das ist eine ganze Menge, wenn man sich nämlich überlegt, was die Sensoraufbauten auf so einem Fahrzeug kosten und die Einbauten und so, dann kommt man recht rasch auf einen Preis von 300.000, 400.000 US Dollar, die so ein Fahrzeug, ein einzelnes Fahrzeug, kostet, heute, in diesen sozusagen sehr frühen Stadien der Robotaxi-Flotten. Und auch Cruise hat 130 Fahrzeuge im Einsatz in San Francisco – also zusammen werden die beiden aktuell auf ungefähr 1.200, 1.300 Fahrzeuge kommen, die die beiden allein in Betrieb haben.
Sebastian
Man sieht, es ist tatsächlich schon in der Realität angekommen. Wenn du jetzt auch gerade dieses Super-Bowl-Beispiel da bringst, es wird ja anscheinend auch angenommen, was ja dafür spricht, und gesetzt der Masse oder aus der Produktion kennt man es: Je mehr man produziert, desto niedriger werden die Kosten irgendwann. Das wird ja auch irgendwann der Faktor sein, der dann genau an diesem Punkt greift, wo dann halt eben das Fahrzeug nicht mehr 300.000 bis 400.000 US-Dollar kosten wird, sondern dann kommen wir vielleicht auch mal an die Grenze so 60.000, 70.000, 80.000 runter und dann rechnet sich das natürlich auch noch ein Stück weit mehr.
Das wird jetzt wahrscheinlich noch eine Zeit dauern, aber ich denke, das spielt auch wieder auf das ein, was du vorhin gesagt hast: Wir werden da kein lineares Wachstum sehen, sondern sobald das am Markt dann mal angekommen ist und man hat verstanden: Achtung aufgepasst, wir haben hier ein interessantes neues Geschäftsfeld im Endeffekt, wo ich auch schaffe, werden da die Kosten ja auch automatisch dann dementsprechend runtergedrängt, so wie es Tesla im Endeffekt ja auch mit dem E-Auto vorgemacht hat.
Dr. Mario Herger
Genau, genau. Du beginnst ja immer mit skim-the-cream pricing hieß das in der Betriebswirtschaftslehre. Das heißt, du fängst an, entwickelst eine neue Technologie und dann verkaufst du es einmal an die, die es sich leisten können, weil es halt teurer ist. Du musst irgendwie schauen, ob die Entwicklungskosten wieder zurückkommen. Und wenn du dann siehst, das kommt an und auch andere wollen das, dann kannst du heruntergehen mit den Preisen. Das hat Tesla gezeigt – zuerst die teureren Model S, Model X und dann langsam ein Model 3 und ein Model Y, das dann in einen anderen Preisbereich kommt.
So, und jetzt sehen wir das auch hier. Und die interessante Frage wird sein: Wie werden diese Roboter-Taxiflotten in den Einsatz kommen? Werden das diese Firmen privat betreiben, also Taxifirmen, die dann in den Städten operieren? Oder wird das beispielsweise in öffentliche Verkehrsmittel eingebettet? Also sprich, ich habe eine App, die mir erlaubt, in Wien oder in Zürich oder in München Bus, Straßenbahn, S-Bahn, U-Bahn zu verwenden und heute schon auch Scooter teilweise, E-Scooter, und vielleicht dann Leihwagen oder so was. Kann ich damit zum Beispiel auch dann ein solches Fahrzeug im Verkehrsverbund verwenden?
Und vielleicht darf ich dazu was erzählen. Ich hatte tatsächlich vom Rhein-Main-Verkehrsverbund aus Hessen zwei Mitarbeiter hier vor einiger Zeit und die tatsächlich planen das. Die sind auch die Ersten, wo Mobileye, eine israelisch-amerikanische Firma, gemeinsam mit einem chinesischen Elektroautohersteller namens NIO 50 Fahrzeuge jetzt betreiben will, noch mit einem Fahrer, mit einem Sicherheitsfahrer drinnen, und zwar in München und in Darmstadt, wo dann eben der Rhein-Main-Verkehrsverbund das integriert als Mobility-on-Demand-Version für gewisse Strecken, die die Busse oder die anderen Verkehrsmittel, die sie haben, nicht ideal anbinden. Manchmal muss man zentral zum Beispiel nach Frankfurt fahren, um dann wieder in dieselbe Richtung zurückzufahren, um dort hinzukommen, und da verliert man viel Zeit.
Und da arbeiten sie daran beispielsweise, dass aufgrund der Bundesverordnung, die es gibt für autonomes Fahren, sie hoffen, dass sie Anfang 2024, also in einem Jahr, dann auch tatsächlich den Fahrer herausnehmen können und die Fahrzeuge wirklich autonom fahren. Und da wird es dann spannend, nämlich zu sehen, wie diese Technologien zum Einsatz kommen, wenn wir von Passagiertransport reden.
Sebastian
Ich denke, da wird es dann echt spannend, wenn man das dann tatsächlich auch mal ein Stück weit vielleicht auch bei uns hier in Deutschland erleben kann und das dann auch noch mal eine andere Aufmerksamkeit in den Medien bekommt, als wenn man jetzt sagt: „Ach schau mal, da drüben, was die in den USA treiben.“ Das ist ja dann doch immer noch ein Stück weit Entfernung auch drin bei dem ganzen Thema. Ich glaube, wir haben einen relativ guten Überblick heute bekommen in der aktuellen Folge von dir, was denn tatsächlich schon möglich ist, was sich da auch bewegt, und ich bin mir sicher, dass du das eine oder andere Mal hier noch bei uns zu Gast sein wirst, um eben dein Wissen mit uns zu teilen, ein bisschen Aufklärung zu betreiben, wie du es eben mit deinem Buch Der letzte Führerscheinneuling … ist bereits geboren gemacht hast, und freue mich, wenn wir künftig wieder von dir hören, Mario. Danke für deine Zeit.
Dr. Mario Herger
Danke. Sebastian, noch eine Sache kurz, ein Angebot für die Hörer: Wenn ihr in San Francisco seid, meldet euch bei mir einfach und wir gehen Robotaxi fahren.
Sebastian
Das werde ich definitiv mit aufgreifen und ich werde es mir selbst auf die Fahne schreiben. Wenn ich bei dir vor Ort bin, werde ich anklopfen und dann fahren wir mal eine Runde zusammen.
Dr. Mario Herger
Gut, sehr gut. Ich freue mich.