Mit enormer Geschwindigkeit entwickelt sich die Technologie des autonomen Fahrens weiter. In manchen amerikanischen Städten sind sogar mittlerweile schon fahrerlose Robotaxis auf den Straßen, die ohne Lenkrad und Fahrer*in völlig autonom fahren. Diese bahnbrechende Erfindung gilt als die Zukunft der Mobilität, insbesondere in urbanen Gebieten, wo Menschen bereits jetzt immer weniger eigene Fahrzeuge besitzen. Dadurch soll freier Platz entstehen für Parks, Grünflächen, Fußgänger und Radfahrer. Zudem sind zahlreiche Hersteller dabei, weitere selbstfahrende Autos zu entwickeln.
Die Prognose Mario Hergers dazu ist drastisch: „Wir werden bald keine Autos mehr besitzen“, sagt er. Seit 2001 lebt er im Silicon Valley als Forscher zu Technologietrends, ist Experte zum autonomen Fahren und Autor des Buches „Der letzte Führerscheinneuling“. Darin geht es um die Veränderungen unserer Gesellschaft hinsichtlich des Straßenverkehrs durch den Fortschritt der Technik. Vor kurzem war er bei trend.at zu Gast und sprach in einem Interview von selbstfahrenden Autos, der Zukunft des Fahrens sowie der Entwicklung von Robotaxis.
Die Zukunft der Fortbewegung
„Der letzte Führerscheinneuling ist bereits geboren.“ – Mario Herger
Nachdem im Dezember 2022 mehr Elektroautos neu zugelassen wurden, als Benziner und Diesel zusammen, postuliert Herger den Siegeszug der Elektroautos. Damit sei ihm zufolge sogar das EU-Parlament mit seinem Verbot vom Verkauf der Verbrennerautos ab 2035 zu spät dran, denn der Markt regele dies selbst schon bis 2030.
Noch vor wenigen Jahren zeichnete sich diese Prognose weniger deutlich ab und auch der Diskurs um Elektromobilität war damals eine Gratwanderung zwischen Utopie und Vision. Mittlerweile, so Herger, seien wir mit der Debatte um autonomes Fahren an diesen Punkt gelangt, die jedoch viel weitreichender in die Entwicklung des Verkehrs eingreifen werde, als es die Elektromobilität tut. Denn während Letztere lediglich den Verbrenner ersetze, sei die autonome Technik der Ersatz für den Menschen hinter dem Steuer.
Robotaxis anstelle von Privatbesitz
Wird das Eigentum von Autos bald wirklich nicht mehr in privater Hand jedes und jeder Einzelnen liegen? Aus ökologischer Perspektive sicher eine gute Entwicklung und laut Herger ein unabdingbarer Trend, denn „wo die Zukunft heute schon entwickelt wird“, sagt er, „sind fahrerlose Robotaxiflotten unterwegs.“ Damit sind vor allem die USA und China Vorreiter. In San Francisco seien beispielsweise mit Waymo und General Motors‘ Cruise zwei solcher Flotten mit etwa 400 Fahrzeugen unterwegs.
Futuristisch sollen sie aussehen, die Robotaxis der Zukunft, denn wo keine menschlichen Fahrer*innen sind, da bedarf es auch keines Lenkrades. Es werden gegenwärtig Fahrzeuge entwickelt, die als Einraumabteile frei in beide Richtungen fahren können, ohne Vorder- oder Rückseite. Beispiele dafür sind die Modelle Zoox, Cruise Origin oder Waymo-Zeekr.
Europa, hinter dem Trend?
Europa kann zurzeit mit den Entwicklungen kaum mithalten, denn das autonome Fahren ist kaum etabliert und für die meisten Menschen noch Neuland:
„In den vergangenen Monaten fuhr ich selbst mehr als 50-mal mit fahrerlosen Cruise Robotaxis in San Francisco. Dabei nahm ich immer Besucher aus Europa mit und die empfanden das wie ich: die erste Fahrminute ist man aufgeregt, weil es ungewöhnlich und neu ist, einen leeren Fahrersitz und das Lenkrad sich allein drehend zu sehen, doch dann wird es sehr rasch normal. Die Fahrt verläuft angenehm, die Passagiere nahmen es als völlig selbstverständlich hin und nach dem Aussteigen ist die Frage, ‚Warum haben wir das bei uns noch nicht?'“ – Mario Herger
Erst seit einer Verordnung des Bundestags 2021 sei autonomes Fahren in Deutschland erlaubt und ab dem Frühjahr werde die erste Versuchsreihe von Mobileye in München und Darmstadt beginnen, so Herger. Die Sicherheitsfahrer*innen, die Teil des Projekts sind, sollen schließlich ab 2024 entbehrlich sein. Auch auf EU-Ebene sind derartige Verordnungen in Arbeit, jedoch wirkt Hergers Prognose eher düster:
„Ich muss jedoch darauf hinweisen, dass wir damit zwar das schönste Stadion und den besten Schiedsrichter haben, aber die Chance auf den Weltmeistertitel hat man nur, wenn man Teams hat, die mitspielen können. Und da fehlt es Europa an entsprechenden Unternehmen, die amerikanischen und chinesischen Unternehmen die Stirn bieten könnten.“ – Mario Herger
Außerdem seien die bisherigen Versuche innerhalb der EU stets auf einen bestimmten Bereich beschränkt gewesen, was dem umfassenden Service autonomer Robotaxis in den USA deutlich nachsteht. Autonome Fahrzeuge sind also hierzulande in den regulären Verkehr noch nicht integriert.
Wie steht es um die Sicherheit?
Oft wird bei der Integration autonomer Fahrzeuge in den Verkehr die Frage nach der Unfallsicherheit der neuen Technik laut. Das häufig herangezogene Gedankenexperiment, in dem jede Ausweichmöglichkeit fehlt und sich das autonome Fahrzeug entscheiden muss, ob es eine Rentnerin oder ein Kind überfahrt, empfindet Herger als absurd: „Dieses abstrakte, so selten auftretende Problem verstellt die Sicht darauf, dass wegen eines einzigen Todesfalls, der möglicherweise eintreten könnte, alleine in Österreich über 400 reale Verkehrstote pro Jahr in Kauf genommen werden.“
Ganz im Gegenteil. Die mit umfangreicher Sensorik ausgestatteten autonomen Fahrzeuge können ohne Müdigkeit, Ablenkung oder Sehschwäche zu jeder Tages- und Nachtzeit alles rundherum erkennen und damit die Unfallursache Fahrer*in ersetzen. Entsprechend haben Robotaxis und selbstfahrende Autos das Potenzial, die Anzahl solcher Unfälle stark zu reduzieren.
Der Verkehrsstatistik des österreichischen Bundesministeriums für Inneres zufolge galten im letzten Jahr u. a. folgende Hauptunfallursachen, wobei 369 Menschen starben:
- Unachtsamkeit & Ablenkung (25,6 %)
- Nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit (22,7 %)
- Vorrangverletzung (19,8 %)
- Herz-Kreislaufversagen & akute Erkrankungen am Steuer (7,8 %)
- Überholen (4,9 %)
- Missachtung von Geboten & Verboten (4,0 %)
- Mangelnder Sicherheitsabstand (2,6 %)
- Übermüdung (2,6 %)
- Alkoholisierung (5,2 % der tödlichen Unfälle)
Herger zufolge könnten vollautonome Stadtteile eigene, abgrenzbare Unfallstatistiken liefern, die einen Vergleich zu obenstehender Statistik zulassen, wobei er beispielsweise Wien und Graz für mögliche Pilotprojekte sieht. Sollte sich das autonome Fahren im Vergleich als sicherer herausstellen, könne sich dies als Anfang eines rollouts erweisen, wie auch im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs:
„Mit der U5 in Wien erhalten wir die erste autonome U-Bahn und die wird der Türöffner für diese Transformation auf anderen Linien sein. Auch Liftboys wurden noch bis in die 1950er Jahre eingesetzt, obwohl die Technologie seit den 1920ern ausgereift war, dass man sie nicht mehr benötigte. Ein Streik der Liftführer hatte dann den Anstoß gegeben, auf sie ganz zu verzichten. Ähnliches werden wir auch bei autonomen Verkehrsmitteln beobachten. Schon die Pandemie hat uns gezeigt, wie rasch Widerstände zu beispielsweise dem Home Office oder der digitalen Signatur abgelegt wurden, weil es nicht mehr anders ging.“ – Mario Herger
Herger zufolge sei es schließlich die logische Konsequenz, das manuelle Fahren zu verbieten. Die meisten neueren Autos seien ohnehin so konzipiert, dass eine autonome Aufrüstung mit Nachrüst-Kits möglich ist, vielleicht sogar bald von Comma.ai mit unter 1000€.
Freiheit und Fahrgefühl: Widerstand gegen elektrisches, autonomes Fahren
Das Auto – der Deutschen liebstes Kind? Vor allem hierzulande ist das Verhältnis der Menschen zu ihren fahrbaren Untersätzen besonders. VW, Mercedes, Opel, Audi, Porsche, die Liste deutscher Autohersteller ist lang und der Widerstand gegen das Ende des Verbrenners oft auch aus individueller Perspektive groß:
„Die Petromaskulinität, wie wir sie von GTI-Treffen oder aus Filmen wie Fast & Furious kennen, kann mit leisen Elektroautos nichts anfangen. Und schon gar nichts mit Autos, die einen nicht mehr als Fahrer benötigen. Diesen Hintergrund müssen wir beachten, wenn es um eine Mobilitätswende geht.“ – Mario Herger
Auch innerhalb der Industrie bei traditionellen Autoherstellern sei laut Herger die Motivation für eine Wende zum Elektromotor eher gering und so erscheint die Entwicklung eher träge.
Nichts desto trotz wird sich der Verkehr wandeln und dabei eine Reihe von Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Mehr Sicherheit, weniger Ressourcen, bessere Nachhaltigkeit, mehr Freiraum in Innenstädten und eine höhere Beteiligung vieler Menschengruppen in Bewegung und Mobilität: Autonomes Fahren trifft den Nerv der Zeit.
Quelle: trend.at – Robotaxis: Der Führerschein wird unnötig