Ob bei US-amerikanischen LKW im Güterfernverkehr oder Transporten innerhalb eines Werksgeländes: Autonomes Fahren wird im Logistikbereich bereits erprobt und eingesetzt. Warum die Technologie in diesem Bereich ein besonderes Potenzial hat, haben Jörg Saße und Marcus Willand in einem Interview mit edison.media diskutiert. Beide sind Teil der Management- und IT-Beratung „Mieschke Hofmann und Partner“ (= MHP) aus Ludwigsburg, die international arbeitet und zum Großteil im Besitz der Porsche AG ist. Das Unternehmen widmet sich vor allem Themen der neuen und elektrischen sowie autonomen Mobilität.
Arbeitskräftemangel in den USA
Der Fortschritt autonomer Technologien im Transport findet derzeit vor allem in den USA statt. Einerseits ist das Land ohnehin Innovationstreiber der modernen Mobilität und andererseits sei die Weiterentwicklung dort dringend nötig, da es einen Mangel an Fahrer:innen für LKW gibt:
„In den USA fehlen mehr als 100.000 LKW-Fahrer, dadurch gerät die Wirtschaft natürlich ins Stocken. Aktuell zielt das autonome Fahren noch darauf ab, das Berufsbild zu retten. Langfristig gesehen soll es einen deutlich höheren Anteil an Fahrern ersetzen. Damit bekommt das Thema auch eine soziale Dimension – der LKW-Fahrer ist der verbreiteste Beruf in den USA.“ – Marcus Willand, Partner bei MHP
Autonome Transporte, so Willand, seien günstiger und wirtschaftlicher, nicht nur durch die entfallenden Lohnkosten, sondern auch die Energieersparnisse.
Deutschland: Kaum Vertrauen trotz großer Chancen
In einer repräsentativen Studie hat MHP Trends im autonomen Fahren untersucht. In Deutschland habe der autonome Gütertransport durchaus große Chancen, während die Entwicklung im Privatverkehr noch auf sich warten lasse. Der Studie zufolge sei nur jede:r dritte Deutsche bereit, den Weg zur Arbeit autonom zurückzulegen.
„In Amerika sind die entsprechenden Verkehrssituationen vorhanden. Anders als in China oder in Europa. Bei uns ist die Fahrsituation auf der Autobahn deutlich komplexer als in den USA. Wenn wir uns aber mal weniger die Logistik auf den Straßen anschauen, sondern eher den Warentransport auf den Werksgeländen, also der Intralogistik, dann steckt hier unglaubliches Potenzial, das hierzulande auch schon genutzt wird. […] Dort kann man schon heute – unter Berücksichtigung aller Regularien – automatisiert fahren.“ – Jörg Saße, Partner bei MHP
Im Privatbesitz gehören automatisierte Fahrzeuge zur Luxusklasse und wie einige andere argumentiert auch Willand, dass diese Art der Fortbewegung mehr Potenzial hat im Bereich des Carsharings, denn der Anteil von diesen teuren Premium-Fahrzeugen „am Gesamtverkehr ist so gering, dass es weder den Emissionsausstoß noch die Verkehrsprobleme lösen wird.“
Shuttles hingegen seien in bestimmten Zonen einsetzbar und kämen dort bereits zum Einsatz, um viele Personen schnell und zuverlässig zu transportieren. Weitergedacht seien Plattformen für das Carsharing auch in Europa denkbar, so Willand. Mit über 150 Millionen Nutzer:innen der US-amerikanischen Uber-Plattform und über 600 Millionen Nutzer:innen der Didi-Plattform in China seien die Dienstleistungen nicht nur beliebt, sondern auch äußerst wirtschaftlich.
Föderale Strukturen bremsen europaweite Umsetzung
Willand zufolge sei die verhältnismäßig kleinteilige Organisationsstruktur Europas Grund dafür, dass automatisierte Fahrzeuge in ganz Europa nur langsam auf die Straßen kommen, vor allem im Bereich der Massenmobilität, die, wie bereits beschrieben, bedeutend ist für eine wirkliche Mobilitätswende:
„Mobilitätsanbieter und OEM und auch die Politik sind gefragt, die Innenstädte und Wohnquartiere durch entsprechende Angebote und Restriktionen autofreier und damit anwohnerfreundlicher zu machen. Mit der richtigen Kampagne kann man die notwendigen Zustimmungswerte erreichen. Aber man muss auch sagen: Es gibt zwar Schlüssel, um unsere Mobilität nachhaltiger, umweltfreundlicher und trotzdem komfortabel zu gestalten. Schnelle Lösungen sind jedoch unrealistisch, dafür gibt es zu viele Variablen und Faktoren.“ – Willand
In Luxemburg beispielweise seien der öffentliche Personennahverkehr (= ÖPNV) und damit bald auch autonome Shuttles kostenfrei, so Saße. In Deutschland finden derzeit Pilotprojekte zur Umsetzung hochautomatisierter Shuttles statt, beispielsweise mit dem Projekt MINGA in München oder AHOI in Hamburg. Alles in allem fehle aber ein gesamteuropäischer Ansatz:
„Wichtig wird dabei auch, öffentliche und private Transportmittel landesweit auf eine Plattform zu bringen und digitale Schnittstellen zu schaffen. Und dass sich die größten Länder wie Deutschland, Frankreich und Spanien an einen Tisch setzen und gemeinsame Sache machen. Dann haben wir in Europa insgesamt eine Chance und jeder würde partizipieren.“ – Willand
Quelle: edison.media – „Autonomes Fahren kommt am ehesten in der Logistik“