
Zu den ethischen Leitlinien des autonomen Fahrens
Die 20 Ethik-Empfehlungen der EU-Kommission für autonomes Fahren stellen einen wichtigen Schritt in Richtung einer sicheren und ethisch verantwortungsvolleren Zukunft des Straßenverkehrs dar. Durch die Berücksichtigung von Aspekten wie Sicherheit, Diskriminierung und Inklusion sowie Datenschutz und Privatsphäre können autonome Fahrzeuge unsere Mobilität verbessern und gleichzeitig ethische Prinzipien bewahren.
Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und ist dabei, unseren Straßenverkehr zu revolutionieren. Die Europäische Union hat erkannt, dass der Erfolg dieser neuen Technologie von klaren ethischen Leitlinien abhängt, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer:innen zu gewährleisten.
Aus diesem Grund hat die EU-Kommission im Jahr 2020 zwanzig Ethik-Empfehlungen für das autonome Fahren herausgegeben. In diesem Artikel werden wir uns genauer mit diesen Empfehlungen befassen und ihre Bedeutung für die Zukunft des Straßenverkehrs analysieren.
1. Verkehrssicherheit
Um nachzuweisen, dass autonome Fahrzeuge die Verkehrssicherheit wirklich verbessern, müssen einheitliche Messgrößen geschaffen werden, die eine faire Bewertung der Leistung von autonomen im Vergleich zu nicht-autonomen Fahrzeugen ermöglichen und damit den gesellschaftlichen Nutzen autonomer Fahrzeuge öffentlich aufzeigen. Dies sollte außerdem kontinuierlich überwacht und verbessert werden.
2. Fehlbedienungen per Design verhindern
Es ist wichtig, dass bei der Gestaltung der Nutzungsoberfläche des Fahrzeugs die bekannten Nutzungsmuster berücksichtigt werden. Dadurch sollen sowohl absichtliche als auch versehentliche Fehlbedienungen, Unaufmerksamkeit, Müdigkeit und kognitive Über- bzw. Unterforderung verhindert werden.
3. Klare Regeln für Tests im Straßenverkehr
Das Leben und Wohlergehen der Verkehrsteilnehmer:innen darf bei der Erprobung neuer Technologien nicht gefährdet werden. Es sollten daher neue Einrichtungen und Testmethoden entwickelt werden, um Innovationen zu fördern, ohne die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer:innen zu bedrohen.
4. Anpassungen und Abweichungen bei Verkehrsregeln
Verkehrsregeln sind ein Mittel zur Verkehrssicherheit, kein Selbstzweck. Dementsprechend muss bei der Einführung von autonomen Fahrzeugen sorgfältig geprüft werden, unter welchen Umständen:
(a) Verkehrsregeln geändert werden sollten;
(b) autonome Fahrzeuge erlaubt werden sollten und
(c) autonome Fahrzeuge die Kontrolle abgeben sollten, damit ein Mensch ggf. die Entscheidung treffen kann, eine Verkehrsregel nicht zu befolgen.
5. Verletzlichkeit von Verkehrsteilnehmer:innen
Autonome Fahrzeuge sollten sich gegenüber verschiedenen Kategorien von Verkehrsteilnehmer:innen, z. B. Fußgänger:innen oder Radfahrenden, anders verhalten, um ihnen das gleiche Maß an Schutz zu gewähren wie anderen Personen im Straßenverkehr. Daher sollten autonome Fahrzeuge unter anderem ihr Verhalten gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmer:innen anpassen, anstatt zu erwarten, dass sich diese Personen den (neuen) Gefahren im Straßenverkehr fügen.
6. Risikoverteilung und ethische Grundsätze
Auch wenn es unmöglich sein mag, das genaue Verhalten von autonomen Fahrzeugen in unvermeidlichen Unfallsituationen zu regeln, kann das Verhalten der Fahrzeuge in diesen Situationen als ethisch vertretbar angesehen werden, wenn es sich aus einer statistischen Risikoverteilung ableitet und die Gleichheit der Kategorien von Verkehrsteilnehmer:innen berücksichtigt.
7. Privatsphäre
Der Betrieb von autonomen Fahrzeugen erfordert die Erfassung und Verarbeitung großer Mengen von Daten über das Fahrzeug, seine Nutzer:innen und die Umgebung. Neue Ansätze der Politik, Forschung und Industrie sind erforderlich, um dabei das Recht auf Privatsphäre zu gewährleisten.
8. Zustimmungsoptionen für Nutzungsvereinbarungen
Bei autonomen Fahrdiensten sollte es differenziertere Ansätze geben für die Zustimmung zu Nutzungsvereinbarungen. Die Formulierung alternativer Ansätze sollte:
(a) über ein „take-it-or-leave-it“-Modell der Zustimmung hinausgehen, um flexible Zustimmungsoptionen einzubeziehen;
(b) Verbraucher:innen Wahlmöglichkeiten zwischen Wettbewerbern bieten, und
(c) Standards entwickeln, die einen hohen Schutz der Nutzer:innen bieten.
9. Rechtssicherheit und Datenverarbeitung
Autonome Fahrzeuge können Daten über mehrere Personen gleichzeitig erfassen. Daher sollten politische Entscheidungsträger:innen mit Unterstützung der Forschung Richtlinien entwickeln, die die Rechte des Einzelnen auf Gruppenebene schützen (z. B. die Rechte von Fahrer:innen, Fußgänger:innen, Passagier:innen o.ä.). Außerdem sollten Strategien zur Lösung möglicher Konflikte bei der Datenverarbeitung entwickelt werden.
10. Transparenz bei der Sammlung von Daten
Autonome Fahrzeuge bewegen sich mitunter in öffentlichen und in der Nähe von privaten Räumen, in denen eine nicht-einvernehmliche Sammlung von Daten und deren spätere Nutzung für die Forschung, Entwicklung oder andere Maßnahmen denkbar sind. Daher sind sinnvolle transparente Strategien erforderlich, um beteiligte Personen über die Datenerfassung in einem Betriebsbereich autonomer Fahrzeuge zu informieren, welche Risiken für ihre Privatsphäre mit sich bringen können.
11. Diskriminierung und Inklusion
Autonome Fahrzeuge sollten weder Einzelpersonen noch Gruppen diskriminieren und keine sozialen Ungleichheiten unter den Nutzer:innen schaffen oder verstärken. Sie sollten außerdem so konzipiert sein, dass sie Inklusion nach Möglichkeit fördern.
12. Überprüfung von Algorithmen
Es sollten Mittel und Methoden entwickelt werden, um die Algorithmen autonomer Fahrzeuge auf unerwünschte Folgen, beispielsweise ethischer oder rechtlicher Natur, zu überprüfen. Die Überwachung und Evaluierung von Feldversuchen und Tests soll als Grundlage dienen für die Formulierung längerfristiger Standards bei Entwicklung, Betrieb und Nutzung von autonomen Fahrzeugen.
13. Zugänglichkeit wichtiger Daten
Besonders nützliche und wertvolle Daten für Planung, Betrieb und Nutzung autonomer Fahrzeuge, wie geografische Daten, Satelliten- oder Wetterdaten und Daten über Unfallsituationen sollten frei und offen zugänglich sein. Damit können auch freier Wettbewerb, Innovationen und faire Marktbedingungen gewährleistet werden.
14. Transparenz der Algorithmen
Entscheidungsgrundlagen KI-basierter Algorithmen sollten auch für Nutzer:innen erklärbar und verständlich zugänglich gemacht werden. Die Methoden und das Vokabular sollten dazu transparent und kognitiv greifbar sein, die Fähigkeiten und Ziele der Systeme sollten offen kommuniziert werden und die Ergebnisse nachvollziehbar sein.
15. Information und Teilhabe der Öffentlichkeit
Einzelne Personen sowie die breite Öffentlichkeit müssen angemessen über ihre Rechte informiert werden, wie beispielsweise das Recht auf Privatsphäre. Sie müssen in der Lage sein, ihre Rechte wahrzunehmen sowie aktiv und unabhängig zu prüfen, zu hinterfragen, von der Nutzung abzusehen oder Konditionen zu verhandeln.
16. Klare Verantwortlichkeiten
Angesichts des großen und komplexen Netzes von Menschen und Organisationen, die an der Entwicklung autonomer Fahrzeuge, ihrem Einsatz und ihrer Nutzung beteiligt sind, können Verantwortlichkeiten für ethische und rechtliche Standards manchmal unklar sein. Um dieses Problem zu lösen, sollte jede Person und Organisation wissen, wer was und wie zu tun hat.
17. Verantwortung und Respekt
Seine Verpflichtungen zu kennen, bedeutet nicht, dass man in der Lage und bereit ist, sie zu erfüllen. Ähnlich wie zum Beispiel in der Luftfahrt mit der Schaffung einer Sicherheitskultur oder in der Ärzteschaft mit einer Kultur der Fürsorge, sollte auch in diesem Bereich eine neue Kultur der Verantwortung in Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz von autonomen Fahrzeugen gefördert werden.
18. Rechenschaftspflicht
Aus der Verantwortlichkeit ergibt sich die Pflicht, ggf. ein Ereignis und die eigene Rolle darin zu erklären. Ein gerechtes System erfordert daher, dass:
(a) formelle und informelle Foren und Mechanismen der Rechenschaftspflicht in Bezug auf autonome Fahrzeuge geschaffen werden
- b) die verschiedenen Akteur:innen sich ihrer Pflicht zur Rechtfertigung des Handelns ausreichend bewusst und in der Lage sind, die Funktionsweise des Systems vor den zuständigen Gremien zu rechtfertigen und
- c) das System nicht zu komplex, undurchsichtig oder unvorhersehbar ist.
19. Strafverfolgung und Schuldzuweisung
Es ist von zentraler Bedeutung, faire Kriterien für die Strafverfolgung und Schuldzuweisung zu entwickeln, beispielsweise in öffentlichen Debatten über vermeidbare Kollisionen von autonomen Fahrzeugen. Außerdem bedarf es fairer und wirksamer Mechanismen für die Haftungszuweisung bei Unfällen. Alles in allem sollten unfaire Maßnahmen bei vermeidbaren Unfällen vermieden werden, also sowohl Straffreiheit als auch die Suche nach einem Sündenbock.
20. Faire Entschädigung von Betroffenen
Es sollten klare und faire Regeln geschaffen werden, die die Haftung im Falle eines Unfalls klären. Dazu könnte auch die Schaffung neuer Versicherungssysteme beitragen. Diese Regeln sollten ein Gleichgewicht schaffen zwischen dem Innovationswunsch der Hersteller und dem Bedürfnis nach ausgleichender Gerechtigkeit, d. h. der gerechten Entschädigung der Opfer. Entschädigungen sollten gerecht verteilt werden und können auch ohne Schuldzuweisung funktionieren, beispielsweise durch schuldunabhängige Haftungsregelungen.
Fazit zu 20 Ethikempfehlungen der EU-Kommission
Die 20 Ethik-Empfehlungen der EU-Kommission für autonomes Fahren stellen einen wichtigen Schritt in Richtung einer sicheren und ethisch verantwortungsvolleren Zukunft des Straßenverkehrs dar. Durch die Berücksichtigung von Aspekten wie Sicherheit, Diskriminierung und Inklusion sowie Datenschutz und Privatsphäre können autonome Fahrzeuge unsere Mobilität verbessern und gleichzeitig ethische Prinzipien bewahren. Es ist entscheidend, dass Hersteller, Regierungen und die Gesellschaft als Ganzes zusammenarbeiten, um diese Empfehlungen umzusetzen und eine verantwortungsvolle Nutzung autonomer Fahrzeuge zu gewährleisten. Nur so können wir die Vorteile dieser neuen Technologie voll ausschöpfen und gleichzeitig sicherstellen, dass sie unseren ethischen Standards gerecht wird.
Quellen: Publications Office of the European Union – Ethics of connected and automated vehicles